TT:120 Startset ‚The Easterner‘ von Hornby; Qualität: Eher durchwachsen.
Schon in den 60er Jahren hatte es TT-Modelle nach britischen Vorbildern gegeben, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Umso mutiger von Hornby, 2022 von null auf hundert(zwanzig) ein ganzes TT-Sortiment hinzustellen, inklusive eigenen Gleisen und Gebäuden, sogar in Kontinent-kompatibler Technik und echtem (!!) TT Maßstab – inklusive brandneuem, griffigem Branding: „TT:120“. Leider entspricht die Qualität keineswegs dem, was man als Kontinental-Europäer erwartet.
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Schließlich bestellte ich mir so ein Startset und wurde direkt Mitglied im TT:120 Club:👇🏻
https://uk.hornby.com/community/hornbytt120-club
Was ist drin?
- eine grüne Schlepptender-Dampflok mit drei rotbraunen Waggons
- ein recht großes Gleis-Oval inklusive Weiche und Abstellgleis
- analoges Fahrgerät & Trafo mit (in meinem Fall) britischem Stecker
- Eingleiser, Anleitung und ein paar Zurüstteile (diese Pest ist jetzt wohl überall)
- Verpackung außen und innen aus 100% Karton – womöglich umweltfreundlich.
- Anmerkung: Die Gestaltung der Verpackung ist wirklich ansprechend.
Hier geht es zu Hornbys UK Shop: 👇🏻
https://uk.hornby.com/products/easterner-train-set-tt1002m
Der erste Eindruck.
Die Qualität der Fahrzeug-Bedruckung wirkt exzellent, sauber, kontrastreich. Und viele Gleise sind dabei, der kleine Zug erhält direkt guten Auslauf.
Die Dampflok zeigt neben ihrer filigranen Gestaltung eine zwar vollständige aber nicht sonderlich filigrane Steuerung, meine Dampflok der BR 003 von Minitrix, also Spur N und konstruiert 1990 (!) ist nicht nur relativ sondern insgesamt feiner gemacht. Auch Hornbys fette Nieten erinnern an die 60er / 70er Jahre. Das hätte besser sein müssen.
Außerdem fielen mir beim Auspacken Teile der Tender-Pufferbohle entgegen. Drei Teile, die ab Werk auseinander gebrochen sind. Klar kann man das kleben. Aber wieso liefert man sowas aus?
Wenigstens ist alles brüniert (oder schwarz vernickelt), und die Achsspitzen sind mit einem Pinsel schwarz überpatscht, sodass der optische Eindruck einigermaßen gefällig rüberkommt.
Die filigranen Handgriffe, das detaillierte Führerhaus, und, nochmal, die vielen superfeinen farbigen Drucke machen die Lok zu einem Schmuckstück.
Aber: Weder ist eine Stirn-Beleuchtung vorhanden, noch ein Rauch-Entwickler vorgesehen; wenigstens dafür hätte Hornby den Raum vorsehen können, einfach durch ‚Weglassen‘ mit einer Aussparung im Gewicht. Modellbahner außerhalb des vereinigten Königreiches sind seit Jahrzehnten mehr Weitblick gewohnt.
Die Vorbereitung für Sound ist zwar gut gemeint – aber im Sinne der Erlebnis-Qualität zu geizig gedacht. Rauch und Licht sind schöne Features, Sound dagegen sorgt für mehr Umsatz, das ist mir schon klar. Aber die Modellbahn-Geräusche erinnert mich fast immer an den guten Wilhelm Busch: „Musik wird störend oft empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden.“ 🙉
Die Waggons gefallen mir optisch recht gut, obwohl sie kaum separate Steckteile zeigen. Aha! Es geht also auch ohne, und die Wirkung überzeugt dennoch.
Nur, alle drei Fahrzeuge wackeln extrem auf ihren Drehgestellen, hier ist wirklich nichts solide oder stabil gemacht. Das wirkt alles irgendwie billig zusammengeschustert.
Allen drei Waggons fehlen die Gewichte in den Bodenplatten. Und damit nicht genug:
Der für eine Fertigung ‚Made in China‘ typische Klebstoff passt in dieses Bild; man sieht die Folgen der schlampigen Arbeit nämlich von außen:
Hornbys TT-Gleise erinnern mich mit ihren dicken Profilen an die von Tillig, das Gleisbild sieht aus, wie H0e. Da ich die filigraneren Gleise von kuehn-jetzt-Roco gewohnt bin, sind für mich Hornbys Gleise ein ästhetischer Rückschritt. Gewisse Vorteile gegenüber Roco und Tillig: Das Sortiment ist vollständig und vollständig lieferbar, auch bei einigen deutschen Händlern, und es ist relativ günstig.
Ein triftiger Grund für den Erfolg sind sicher auch die schlanken Weichen, die einen geschmeidigen Gleiswechsel erlauben. Aber die Schienenverbinder leiern leider sehr schnell aus, hier sollte schleunigst besseres Material ausgewählt werden, denn zum ‚Spielen‘ taugt das nichts:
Das Hornby-Fahrpult finde ich total unpraktisch mit seinem separaten Umschalter für die Fahrtrichtung: Beim Rangieren kriegt man vermutlich ‘ne Meise bei der Herum-Schalterei. Sowas Blödes! Da lobe ich mir die klassischen Arnold-Fleischmann-Roco-Trix-Fahrpulte. Haben die sich noch immer nicht nach UK herumgesprochen? Nach 60 Jahren? „Aber die Kosten!“ Ist mir schon klar… Wieder mal ignoriert man den ‚Faktor Mensch‘, der damit umgehen soll. Ob sich das irgendwann bessert…?
Wie fährt sich Hornby TT:120?
Analog? Keine Ahnung. Auf YouTube kann man sich das anschauen. Ich habe in fröhlicher Inkonsequenz direkt einen vorhandenen Loksound V5 eingeklippst und mit einem britischen A4 Dampflok-Sound bespielt: Zwar sandte mir Esu auf meine ursprüngliche Anfrage, ob vielleicht und wann eine passende Datei erhältlich sei keine Antwort, aber auf der Website findet sich seit März ’24 das Projekt Nr. S0165.
Trotz aller (Programmier-)Tricks gelang es mir nicht, die Lok komplett ruckelfrei fahren zu lassen (nicht jeder Decoder harmoniert mit jedem Motor- oder Getriebe-Typ). Also erhielt meine Lok einen Glockenanker-Motor, der das Ruckeln einigermaßen minimierte; weg ist es aber nicht. Eine Anfrage bei Hornby brachte mir eine herablassende Mail eines Herrn ein mit dem Tenor „Motor ausgetauscht, Lok also ‚manipuliert‘, Garantie futsch, selber schuld.“ Yo, Bruder. ☺️
Bei der meiner Erfahrung nach durchgehend eher fragwürdigen Qualität von Hornby Produkten quer durch alle Baugrößen kann ich die pampige Antwort des Herrn zwar verstehen. Aber wie man nachlesen kann arbeitet er inzwischen nicht mehr bei Hornby, sein Nachfolger (?) ist sowieso ungleich sympathischer. 😸
Also, auf Verdacht hin ersetzte ich den Esu Micro V5 gegen einen D&H Decoder, stellte ihn auf ‚Glockenanker‘ ein – und prompt rollte die Lok wie man sich das so vorstellt. 😃 Elegant und ruckelfrei rollt sie seitdem über die Gleise. Tja, wie das so ist, Manches passt einfach nicht zusammen, in jeder Hinsicht; Anderes dafür umso besser. 💖
Zwar besitzen alle Waggons Kulissen für Kurzkupplungen, aber sie halten einander ängstlich auf irre weitem Abstand. Sowas Unsinniges habe ich noch nicht gesehen.
Außerdem hat Hornby die Kupplungs-Aufnahmen nicht vorn in die Kupplungs-Träger integriert, wie sich das gehört, sondern es wurde Tilligs extra-Kupplungs-Kasten nachgebaut. Ohne in Summe auf den Waggon-Abstand zu achten 🙄, so zerstört Hornby die Vorbild-nahe Wirkung. Sorry, aber das ist wirklich Blödsinn. Die Kupplungs-Träger sollte Hornby dringend sinnvoll neu konstruieren und als Austausch-Teile anbieten.
Stur griff ich zu zwei Tütchen verkürzter N-Kupplungen von MTR-exclusiv, und ausgerechnet deren kürzeste Variante brachte meine Hornby Fahrzeuge auf genau die richtige Nähe zueinander: 👇🏻
https://www.mtr-exclusive.de/p/mz900030-10x-verkuerzte-normsteckkupplung-kupplung-3
Da mir die Fallhaken-Kupplung viel zu zickig ist kam mir diese unerwartete Lösung sehr entgegen.
Wenn nun der schöne Zug so eng gekuppelt über sein Oval rollt, dann macht er schon Spaß, auch oder gerade ohne ‚Sound‘. Die aerodynamisch gestylte Dampflok schaut mit ihren rotbraunen Personenwagen sehr elegant aus. Es wäre schön, entspräche dem auch die tatsächliche Produkt-Qualität. Was eher nicht der Fall ist.
Auch lästig: Hornby war so unklug, die TT:120 Fahrzeuge mit besonders niedrigen Spurkränzen auszustatten, obwohl das hauseigene Gleissystem recht rustikal aussieht. Das passt von der Denke her nicht zusammen.
Prompt neigt die erste Tender-Achse der Hornby Dampflok reproduzierbar dazu, sich über den Herzstücken einiger kuehn-Roco Weichen ihre eigenen Wege zu suchen; Entgleisungen sind die Folge. Zwar sind nicht die Räder sondern die Weichen der ersten Kuehn-Modell Generation die Verursacher. Aber wenn sich Hornby schon am Kontinentalen orientiert, warum nicht konsequent?
Bei Kühns Weichen wurden die Radlenker nicht bis auf Höhe der Schienenprofile gebracht, man ließ sie weiter unten enden. Spätere Auflagen wurden nachgebessert, und was Roco heute ausliefert sollte einwandfrei funktionieren.
Digitaltechnik
Hornby orientiert sich mit TT:120 an Kontinental-TT, aber Next18 Schnittstelle ist trotzdem Mist, hüben wie drüben, weil sich die Decoder zu leicht aus der Buchse lösen. Meinen Next18-Sound-Decoder hatte ich daher am anderen Ende mit einem kleinen Stück Gewebe-Klebeband fixiert, beim kleinen D&H war das nicht notwendig.
Unter der Platine habe ich ein 5 Gramm Gewicht untergebracht: Nur mehr ist mehr. 😉 Außerdem habe ich im Tender die Litzen-‚Wolle‘ sinnvoll eingekürzt. Das ist das erste Mal, dass ich eine Lok innen ‚aufräumen‘ musste. Schlampenkram, echt.
Das Layout der Tender-Platine verblüfft: Kein einziger der schaltbaren Ausgänge F0 bis F2 ist mit einem Lötpad herausgeführt! Lediglich die Lautsprecher sind extra angeschlossen. Womöglich hält Hornby die eigenen Kunden für zu blöd, auf eigene Ideen hin netten Schnickschnack in die Loks einzubasteln, also bereitet man dafür auch nichts vor. Tja, man sollte nie von sich auf Andere schließen. 😌
Den leblos klingenden original-Lautsprecher habe ich ausgetauscht gegen einen von Esu mit größerem Resonanzkörper. Fest eingeklebt erzeugt er einen satteren Klang. Den dadurch überflüssigen Teil der Platine kann man einfach abtrennen. Vielleicht finde ich mal einen UK ‚Sound‘ für D&H Decoder.
Nun könnte man natürlich die Waggons innen-beleuchten. Ab Werk gibt es da nichts; sogar die Radkontakte müsste man sich zurechtbasteln. Das ist alles sehr beschwerlich; irgendwann ist man des Nachbesserns müde. …erstmal. 😉
Fazit: ‚The Easterner‘ ist ein im Prinzip attraktives Startset in TT:120. Nur die Konstruktions-Qualität enttäuscht zumindest mich in vielerlei Hinsicht:
Fehlende Spitzenlichter, zu weit herausragende KK-Kulissen, unsauber arbeitende Getriebe, aber immerhin eine exzellente Bedruckung – ich vermisse die zu erwartenden Qualitäts-Standards der letzten Modellbahn-Jahrzehnte (!), die in H0 und inzwischen auch in N üblich sind. UK-TT sollte das in 2024 auch hinkriegen, aber es ist ihnen womöglich egal. 🤷🏻♂️ Ich musste eine Menge an diesem Set nacharbeiten.
TT:120 ist eine tolle ‚Modell‘-Baugröße und ganz sicher die clevere Alternative zu H0 / 00. Aber ob nicht gewollt oder nicht gekonnt, falls Hornby sich zukünftig nicht mehr Mühe gibt sollte man sie auf etwas hinweisen:
Seitdem Hornby tatsächlich den Maßstab 1:120 einhält ist UK auch für andere Hersteller potentiell interessant geworden, welche den Begriff ‚Qualität‘ höherwertig interpretieren. Diese Konkurrenz könnte Vieles verändern. 🙂
Eine interessante Besprechung des Sets inklusive einer klaren Kritik an der fummeligen TT-Normkupplung gibt es hier, auf englisch: https://www.keymodelworld.com/article/hornbys-tt120-gresley-a4-and-rolling-stock
😏🚂