Die DB BR 220 von Tillig in TT: Mies.

Die Modellbahn in TT, wie wir sie derzeit kennen, wurde geprägt ab 1993: Damals kaufte ein Herr Tillig die ehemalige Firma ‚Berliner TT Bahnen‘, zu dem Zeitpunkt schon wieder ‚Zeuke‘, und verfrachtete die Formen aus Berlin (!) ins allertiefste Sachsen nach Sebnitz, direkt an der Grenze zu Tschechien.

Das könnte aus heutiger Sicht einer der womöglich größten Fehler gewesen sein: Gäb es noch heute einen Modellbahn-Hersteller in der ‚Hauptstadt‘ besäße dieses Produkt ein sehr begehrenswertes Image, vor allem auch international. Was sich natürlich auch auf Qualität und Auswahl ausgewirkt hätte. Aber so ist das eben; ‚König der Provinz‘ ist eine bequeme Sache.

Was mich voll nervt: Obwohl die TT-Bahn fast zeitgleich erfunden wurde in den USA und am Niederrhein (und dort immerhin 22 Jahre lang bei Rokal gefertigt wurde!) drückt Tillig der TT Bahn stur einen Ost-Stempel auf. Bis heute wird man nicht müde, die „DDR“ Historie zu betonen (und alles Westliche subtil wegzulassen; sorry Leute, Druck erzeugt Gegendruck…). Dieses Vorwort der aktuellen Ausgabe des Heftes ‚Ins richtige Gleis mit der TT Bahn‘ (allein der Titel…) zeigt von Internationalität keine Spur.

Osten, Osten. 🙄 Ist irgendwann mal gut damit? 🥱

Nun sollte man meinen, Modellbahnen seien qualitativ allesamt in 2023 angekommen. Leider nein. 😁

Denn wer im Fleischmann-märklin-Roco-Trix Land aufgewachsen ist kann sich über eine Vielzahl von Tilligs Konstruktions-Merkmalen zumindest wundern, während Konstruktionen von Roco und Piko recht vertraut wirken. Ja, die in TT:120. ☺️

Völlig *%# : Die kompletten Einstiegs-Bereiche hat Tillig als separate Steckteile konstruiert und durch extra fette Dachlinien betont. 👎🏻 Dafür sehen die Achslager nullstens nach Bundesbahn aus…

Das zweit-absurdeste Tillig-Beispiel, das ich kenne (was in TT:120 noch nichts heißt) ist das Modell der V200 / BR 220 der Bundesbahn, ausgeliefert 2010. Dieses Modell ist ein Lehrstück, wie man es nicht machen sollte.

Fans der Marke Tillig sollten jetzt einfach mal aufhören zu lesen; für die ist das TT Board reserviert. 🤓 Hinweis: Den ganzen nachfolgend geschilderten Mist zu erleben und dann auch noch aufzuschreiben war ebenfalls keine berückende Erfahrung… 😒

Zuerst sind mir die Drehgestell-Böden auf- bzw. abgefallen. Deren Klippse sind wirklich winzig und so dünn, dass eine der Blenden schon nach dem Kauf beim Auspacken mürrisch herunterfiel. Ein Ersatzteil gab es nur ‚baugleich‘, und der Mensch von Tilligs Hotline riet mir sogar zur Bestell-Nummer der graubraunen Variante 🙄. Seine Kollegin klärte das dann für mich. 👍🏻

Hier waren mal Klippse angebracht.

Als nächstes fielen die Kupplungsträger auf bzw. ab. Die sitzen direkt in den Drehgestellen, offiziell unbeweglich. Mir wurde aus äußerst geheimen aber gut unterrichteten Kreisen zugetragen, in engen Kurven komme es durch diese Starrheit zu Entgleisungen der Waggons. 😎

Das Problem stellte sich erstmal so gar nicht, denn beide Halter fielen andauernd heraus. Ich musste auch diese Dinger letztlich festkleben. 

Hier muss man leider kleben.

Dass die Griffstangen an den Fronten vom Modellbahner eingesteckt werden müssen kennt man von Roco seit 1984. Aber TT ist nicht H0. Und bei Roco passt und hält alles ohne Nacharbeit oder gar Kleber. Bei Tillig … nicht.

Nun ist in dieser Lok Platz für zwei (!) Lautsprecher, nette Idee. Aber! Um diese einzubauen muss man nicht nur eine Schallkapsel zusammenkleben (das hätte man auch durch zwei seitlich zusammensteckbare Teile lösen können), nein, man muss die komplette Lok auseinander bauen, bis auf den Motor! Das mag nach dezent zuviel Aufwand klingen. Aber es ist viel schlimmer. 🥳

a.) Gehäuse abnehmen, b.) beide Drehgestelle ausbauen, also Getriebedeckel entriegeln, Kabel ablöten etc. (!), c.) Lok-Rahmen vollständig abklippsen (!!). Dann Lautsprecher einkleben, diverse Litzen anlöten (die minimal zu kurz sind), und dann in aaaaaller Ruuuhe den ganzen Schamott wieder zusammenpuzzeln. Iss’n Kack-Job, um das mal klar zu benennen.

Währenddessen verabschiedeten sich beide Drehgestell-Blenden, allein durch’s Anfassen: Alle acht Klippse waren abgebrochen. Es lebe der gute ‚Pattex Spezial‘. 💪🏻

Dabei zeigte sich, dass die Radkontakte falsch herum montiert waren: Mit der Lötstelle nach innen; das gibt beim versuchten Zusammenbau extra Spaß durch Spannkraft… 

Also acht Radkontakte herumdrehen, zurechtbiegen und mit fünf Händen alles bändigend zusammensetzen. Wie praxisfern kann man eigentlich konstruieren…? …und ich dachte, Rocos 01.10 sei ein schwieriges 3D Puzzle…

Das wird nichts.

So, und dann der Decoderplatz. Tillig ermöglicht es, sowohl Decoder mit sechspoligem Stecker als auch Plux12 einzusetzen. Die Idee liest sich nett, die Realität ist es nicht. Die Decoder liegen nämlich oben quer zur Fahrtrichtung auf dem Rahmen. In TT. Nicht H0. Man ahnt es.

Der alte sechspolige Kühn Decoder passt so eben hinein. Für den Micro V5 Sounddecoder von Esu reicht die Breite nicht aus. Was auch ein bisschen an Esus Adapter liegt, aber seitlich im Rahmen wäre genug Platz für alle möglichen Decoder gewesen. Hier hat Tillig den Platz aber eigenartig schräg begrenzt, als dass sich der Sound-Decoder dort unterbringen ließe. 🤬 Tilligs seltsame umklapp-Adapter-Platinen nerven mich sowieso.

Ich sach doch, das wird nichts…

Nun hat Tillig diverse Licht-Funktionen auf seiner Lok-Platine festgelegt. Als Beginner (oder bequemer Mensch) mag man das gut finden – ich dagegen konfiguriere meine Decoder lieber selbst. Das wäre natürlich jedermann möglich, wenn die Decoder-Hersteller sich nicht zu fein wären, Komfort-Programmierungen in ihre Decoder einzubauen: 

Eine spezielle CV könnte es erlauben, mit verschiedenen Werten den Decoder auf unterschiedliche Loks fertig einzustellen. Aber das wäre wohl ZU komfortabel und ZU nah am Kunden.

Also, wer gern selbst entscheidet, was in seiner Lok möglich ist, kann die Tillig Platine rauswerfen und eine neue Platine ohne unnötiges Vogelfutter einsetzen: Da die Lok ohnehin demontiert vor einem liegt kann man das auch gleich noch erledigen. Bezugsquelle: 👇🏻

https://www.digitalzentrale.de/detail.php?sess=60vhgh9vd3ogvg78sn1nmu9le0&art_id=9&abt=6&itemgr=119

Die Austausch-Platine von (c)digitalzentrale.

Mit Esus Adapter 51999 sollte man dann auch den Micro Sound-Decoder V5 in dieser Lok unterbringen, fest angeschlossen.

(c)Esu Adapter 51999

Ach ja, die kühl-weißen LED sind wie immer gegen solche mit Glühlampen-Effekt ausgetauscht worden. 👇🏻

https://www.reichelt.de/de/de/led-smd-1608-0603-warmweiss-200-mcd-3000k-130–led-ll-0603-ww-p156361.html?r=1

Zwischen rot und weiß klebte ich einen Streifen Zellkautschuk, damit’s wirklich getrennt voneinander leuchtet.

So einfach und doch funktional. 😌

Später könnte ich noch versuchen, mit einer Lux-Flüssigkeit diesen lächerlichen Aufdruck im Maschinenraum zu entfernen. Was soll das sein; Malen nach Zahlen? Schwarzes Nichts wäre besser gewesen. 

naive Malerei ist nicht überall gern gesehen…

Besonders apart: Als ich die zu hellen Führerstände mittelgrau einfärben wollte, zeigte sich, dass der Fensterbereich ein U-förmiges Extra-Teil ist, also inklusive Ecken separat eingesetzt. Unschön. ☺️ Was alle mir bekannten Hersteller von Modellen dieser Lok in sämtlichen zurückliegenden Jahrzehnten konnten, nämlich das Gehäuse in einem stabilen Stück spritzen, das konnte Tillig 2010 nicht. 🤨

Dat is schäbbisch, Liebelein… 👎🏻

Man kann nur hoffen, dass Piko seine überaus gelungenen Dieselloks der Bundesbahn V200 / BR 220 zeitnah Richtung TT:120 transponiert. Nur mangels Alternative hatte ich mir dieses Ding geholt, Tilligs Modell ist frustrierend auf zuvielen Ebenen, diese Bastel-‚Qualität‘ ist nichts für die Masse der Modellbahner. Bitte keine Neuauflage.

Ach ja, wie man bei Tillig auf sachliche Kritik reagiert:

Vor über zehn Jahren  hatte ich Tilligs Geschäftsführer freundlich angeschrieben und gefragt, warum man bestimmte offensichtliche Kritikpunkte nicht einfach abstelle. Als Antwort bat er mich, sehr nett und entspannt, ihm eine ‚Mängel‘-Liste zu schicken; man könne sich das ja mal anschauen.

Auf meine Liste erhielt ich eine unerwartete Mail vom mir bis dahin unbekannten Herrn G., der mir wörtlich schrieb „verschonen Sie uns zukünftig von ihren Ergüssen.“ Wie bitte? 👀 Ob der Herr noch alle … Latten am Zaun hatte? 🤭

Als ich Monate später dem Herrn G. (sic!) auf einer Messe trotz allem höflich die Tür aufhielt verzog er bei meinem Anblick geradezu angewidert sein Gesicht, machte sich zweidimensional dünn und quetschte sich auf der anderen Seite der Tür durch. 🤷🏻‍♂️

Entweder, er ist klassisch homophob, oder meine erste Vermutung trifft zu. Kurz: So benimmt man sich einfach nicht.

An der ‚Qualität‘ von Tilligs Produkten hat sich bis heute nichts geändert: Zum Beispiel sind Fensterrahmen von Waggons oft nach wie vor weiß oder silbern, egal, was das Vorbild so dazu sagt…

Aber, beruhigend: Angesichts von Tilligs‘ sehr spezieller Produkt-‚Qualität‘ und des sich endlich anbahnenden Wettbewerbs darf man wohl in aller Ruhe davon ausgehen, dass sich diese Sache von alleine regelt…

🙂🚂