S-Bahn Rhein-Ruhr von Piko (Update 03 2020)

Orange, wohin man blickt. 🙂

Pikos neu ausgelieferte S-Bahn Wagen nach Vorbildern der Bundesbahn der 80er Jahre gefallen auf den ersten Blick. Dass sie etwas handfester konstruiert wirken, als Rocos ältere Pendants, entspricht der Qualität, die man von Piko erwartet. Man findet viel Schönes aber auch ein paar Kritikpunkte. In Summe machen mir diese Fahrzeuge viel Spaß. Aber man sollte schon ein paar Ungereimtheiten abstellen. Wie das geht, beschreibe ich nachfolgend.

Derzeit sind folgende Fahrzeuge lieferbar:

2. Klasse 58500: https://www.piko-shop.de/index.php?vw_type=artikel&vw_id=27452&vw_name=detail

1./2. Klasse 58502: https://www.piko-shop.de/index.php?vw_type=artikel&vw_id=27458&vw_name=detail

Steuerwagen 58501: https://www.piko-shop.de/index.php?vw_type=artikel&vw_id=27453&vw_name=detail

Ausführung.

Eng, aber ohne Zwang – gut so. 🙂

Die Waggons sind maßstäblich lang konstruiert und dank ihrer kürzeren Vorbilder auch für märklin- und Fleischmann-Fahrer geeignet, deren Waggons eher nur etwa 282mm lang sein sollen. Die Kulissen für Kurzkupplungen halten die Waggons wirklich nah beieinander, anders, als noch bei Pikos Schnellzugwagen, die etwas ängstlich zueinander auf Abstand bleiben.

Mit einem Lackmaler imitiert man die Griffstangen.

So aufwändig Pikos bei den x-Wagen viele Details auch darstellt, ausgerechnet die auffälligen Griffstangen an den seitlichen Wagen-Enden sind als ‚Balken‘ im Gehäuse angeformt. Dies konnte Roco besser, und das vor bereits 32 Jahren: Kleine Metallstifte im Gehäuse stellen diese Griffstangen sauber, wenngleich wenig vorbildgerecht dar. Bei Piko muss man sich mit einem silbernen oder besser kieselgrauen Lack-Strich behelfen (gut trocknen lassen!).

Separate Scheibenwischer und seitliche Griffstangen. Der Staub kam nicht aus dem Werk.

Immerhin, der Steuerwagen besitzt neben den Führerstandstüren separat eingesteckte Griffstangen, vorbildentsprechend gekröpft. Dazu passen die separat eingesetzten Scheibenwischer und kleine extra-Griffe. Die Wirkung dieser Teile ist großartig.

Im Bereich der Fahrgestelle findet man viele filigrane, extra angesetzte Details, die man allerdings nur sieht, wenn man nach ihnen sucht. Diese eigenartige Inkonsequenz, dass Piko die Detaillierung im Fahrgestell quasi übertreibt, sich zugleich aber am Gehäuse Details spart, kennt man schon von der 103:

Die Drehgestelle dieser Lok besitzen unfassbar viele separat eingesteckte Teile. Ausgerechnet aber die auffälligen Scheibenwischer sind mittig geteilt, da jeweils zur Hälfte an Gehäuse und Fenster angeformt. Das sieht man bei jedem Blick. Ich vermisse hier eine sachkundige Führung von Konstruktions-Prinzipien.

Piko hat tatsächlich das Abteil der 1. Klasse in der Form nachgebildet. Vorn sieht man die Bodenschwelle und die Abteil-Wände.

Die seitlichen Fensterbänder liegen etwas zu weit im Gehäuse, das erinnert frappierend an Rocos Modelle. So ein Zufall! Und gerade die Fenster hätte man bei einer Neukonstruktionen von 2018 wirklich eleganter gestalten sollen. Wieso checkt man bei Piko so etwas nicht?

Tatsächlich stimmt Pikos Werbe-Versprechen, diese Waggons seien „wackelfrei“. Allerdings: Dass diese Aussage für diverse andere Waggons von Piko eben nicht gilt, sei hier des Fairplays wegen angemerkt.

Piko hat wie üblich ein Produkt-Video veröffentlicht:

Farb-Differenzen.

Der Führerstand des Steuerwagens zeigt ein äußerst passgenau eingesetztes Front-Fenster, dessen Rahmen aber statt silbern leider schwarz bedruckt wurde und so völlig anders wirkt, als das Vorbild. Auch hier fragt man sich, warum so etwas nicht vor der Produktion korrigiert wird.

Trauerflor…?

Denn leider kommen unnötige Farb-Fehler in Pikos Expert-Reihe immer wieder vor. So wurde auch der Wagenboden des Steuerwagens in leicht von den anderen Waggons abweichendem Braun-Ton eingefärbt, auch seine seitlichen Rahmenwangen lackierte Piko in genau demselben abweichenen Farbton.

Unten der Steuerwagen – braun ist nicht braun.

Auch das Orange meiner BR 111 von Piko weicht in der Farbtemperatur leicht von den drei Waggons ab.

Zwar kann man alles weg-erklären mit „Abweichungen gab es beim Vorbild auch“, aber hier geht es nicht um rhetorische Klimmzüge, hier geht es um eine inkonsequente, schwankende Produkt-Qualität. Dabei wäre es ganz wunderbar, könnte man sich bei Piko auf einheitliche und richtige Farben verlassen. Ich würde auch lieber alles über den grünen Klee loben. Geht aber nicht.

Decoder für Lichtwechsel. Und so.

LED Technik hat ihre Vorteile.

Besonders viel Mühe gab sich Piko mit den umfangreichen Möglichkeiten der Beleuchtung: Stirn- und Schlussbeleuchtung, Zugzielschild, Führerstand und beide Aborte sind mit LED bestückt und separat einschaltbar, sofern man einen Funktions-Decoder einsetzt.

Auch eine nachträglich eingebaute Innenbeleuchtung kann über den Decoder geschaltet werden. Die Mittelwaggons benötigen hier einen kompletten Satz Innenbeleuchtungen inklusive Radschleifern. Piko hat dazugelernt und die primitiven Achsschleifer endlich gegen sinnvolle Radkontakte ersetzt, die eine Achtpunkt-Stromaufnahme ermöglichen. So hätte es von Anfang an sein sollen, sogar bei Trix gibt es solche Dinge seit vielen Jahren.

Innenbeleuchtung Mittelwaggons Piko 56291:
https://www.piko-shop.de/index.php?vw_type=artikel&vw_id=28051&vw_name=detail

Innenbeleuchtung Steuerwagen Piko 56292:
https://www.piko-shop.de/index.php?vw_type=artikel&vw_id=28052&vw_name=detail

Zum Anschluss des Lichtwechsel-Decoders setzt Piko nicht auf bewährte Schnittstellen wie mtc21 oder Plux22, sondern auf eine eigen(sinnig)e Lösung: Unter der Platine finden sich zwei Buchsen aus dem Elektronik-Bereich, in denen eine Blind-Platine mit viel Kabelage den Analog-Betrieb ermöglicht. Piko bietet also einen Funktionsdecoder an, dessen zwei (!) Stecker mit sinnfällig angeschlossenem Kabel-Verhau in die Dosen eingedrückt werden müssen. Er ist derzeit der Einzige seiner Art, der mit diesen Steckern angeboten wird. Und das wird sicher auch so bleiben, wozu gibt es genormte Schnittstellen.

Piko versucht, den freien Einsatz von Funktionsdecodern zu torpedieren. Das klingt nach 1959, nicht nach 2019. Was Piko hier treibt, wie auch beim ICE4, das ist märklin-für-Arme. Und natürlich übergehe ich jeden derartigen Versuch der Gängelung.

Ich hoffe wirklich, dass man sich bei Piko endlich besinnt und zukünftig Steuerwagen und ICE4 mit genormten Plux22 Schnittstellen ausliefert: Für Modellbahner und Händler ist dieser Schnittstellen-Egoismus äußerst lästig. Piko sollte Bewährtes übernehmen und sich in das Vorhandene einreihen.

Abgesehen davon sind die vielen einzelnen Kabel und die kleinen Steckerchen schon sehr fummelig.

Decoder nach freier Wahl – das geht auch hier. ☺️

Freidenker finden sogar zwei einfache Möglichkeiten, einen Funktions-Decoder nach Wahl in den Steuerwagen einzubauen. Ein Lötkolben, eine Pinzette und etwas Geduld sind dazu notwendig. Ich habe einen günstigen Lokdecoder MX600 von Zimo verwendet, dessen Licht-Funktionen sich sehr nett programmieren und an den Lokdecoder MX637 angleichen lassen. Dabei sind „nur“ die ersten vier Funktionen schaltbar, also Licht weiß/rot, Führerstand und ZugZielAnzeige. Abort etc. bleiben duster. Aber darauf verzichte ich gern, als mich einem unnötig autoritär festgelegten Buchsen-Standard zu beugen. So.

Die nun folgenden Tipps erfolgen ausdrücklich ohne Gewähr!

Möglichkeit 1, Decoder bleibt steckbar: Man zupft die beiden Stecker der Blind-Platine aus den Buchsen. Dann werden die Kabel nacheinander, Funktion für Funktion, von der Blind-Platine ab- und jeweils sofort an die passende Stelle des neuen Funktionsdecoders angelötet. Tipp: Sorgfältiges Vorgehen erhöht die Erfolgs-Chancen. 🙂 Diese Arbeit ist etwas fummelig, aber es bleibt der Vorteil, dass der Decoder nur gesteckt ist und sich so einfach austauschen lässt.

Auf diese Weise kann man auch sehr günstige Decoder wie den Tams FD-R verwenden: https://tams-online.de/Funktionsdecoder-FD-R-Basic-2

Belegung der beiden Buchsen im x-Steuerwagen. Von OBEN betrachtet!
Der erste Versuch mit einem ESU-Decoder. Sauber löten können Andere ganz prima. 🙂 (funktioniert übrigens)
Der Decoder verschwindet…
…zwischen den beiden Wänden.

Möglichkeit 2, Decoder wird fest eingelötet: Auf der Platine finden sich kleine Löt-Pads mit eindeutigen klaren Angaben, welches Decoder-Kabel dort angeschlossen werden soll. Natürlich muss auch hier die Blind-Platine mit ihren Steckern aus den zwei Buchsen gezogen und aus dem Steuerwagen entfernt werden. Die Decoder-Kabel lötet man also direkt auf die Hauptplatine. Passend zu den genormten NEM-Kabelfarben habe ich Zeiger angebracht.

Ärgerliche Achsen.

Ein unschönes Kapitel sind bei einer ganzen Reihe meiner Waggons von Piko die Achsspitzen, die sich in die Drehgestelle einfräsen. Sämtliche meiner „Schnellzugwagen“ von Piko habe ich deswegen mit Messingbuchsen von Peho ausgestattet. Diese werden innen in die Drehgestell-Rahmen eingesetzt. So entsteht langfristige Sicherheit, und als netter Nebeneffekt reduziert sich das Rollgeräusch.

Peho Lagerbuchsen aus Messing & Werkzeug: http://peho-kkk.de/mshop/index.php/spur-h0.html

Auf der Achsspitze erkenbar Kunststoffreste aus dem Drehgestell-Rahmen.

Auch Pikos neue x-Wagen zeigten leichte Fräs-Spuren in den Drehgestellen. Und das, obwohl die Räder neuerdings endlich glatte Oberflächen besitzen. Aber weil Pikos rauhe Radflächen in der Vergangenheit sich überaus willig mit Schmutz zusetzten, habe ich irgendwann entnervt alle Piko-Achsen gegen die von Thomschke ausgetauscht. Piko verkauft nicht immer nur höchste Qualität…. https://www.modellbahn-radsatz.de/h0/radsaetze-h0-gleichstrom/piko/index.php

Ob auch im Fall der x-Wagen tatsächlich ‚Gefahr‘ für die Waggons bestand oder dies für die ersten Stunden normal ist, war mir dann egal: Sicherheitshalber habe ich weitere Buchsen geordert; schön genug sind die Waggons schließlich.

*Ei, Ei, Ei…*

Die Radscheiben habe ich mit Silber und Graubraun eingefärbt, um auch hier möglichst nah am Vorbild zu sein. Abgesehen davon sieht es schick aus.

Bremsscheiben müssen sein.

Man kann zum Bearbeiten die Achsen im Drehgestell belassen. Um die Radscheiben einzufärben, hält man den Pinsel (mit sehr wenig Farbe!) dagegen und dreht mit einem Daumen das Rad in Richtung vom Pinsel weg.

Zuerst habe ich die mittleren Flächen silbern ausgelegt, um die Bremsscheiben darzustellen. Dabei die Farbe möglichst dünn auftragen, denn Bremsscheiben haben keine Struktur.

Nachdem alles durchgetrocknet war, wurde der vertiefte Rand Graubraun (RAL 8017) ausgelegt. Am Besten einen extrem feinen und teuren Pinsel verwenden und jeweils nur sehr wenig Farbe auftragen. Abschließend befreit man den äußeren Radreifen von der Farbe. Dazu drückt man ein Wattestäbchen schräg an den Radreifen, und dreht das Rad einmal herum. Im Ergebnis wirkt der Wagenverband optisch um einiges edler.

Erst nach dieser Arbeit stellte ich fest, dass bei allen drei Waggons einige Räder unpräzise auf die Achsen gezogen wurden und deswegen leicht eiern. Was sich in unruhigem Lauf der Waggons äußert. Ob ich auch hier wieder Thomschke Achsen einsetze und mir die Arbeit nochmal mache, muss ich mal sehen.

*Knack-Knack*

…ist keineswegs immer der „Gipfel der Genüsse“. Im Gegenteil. Meine x-Wagen von Piko gaben jedesmal ein penetrantes Knack-Geräusch von sich, sobald sie in Kurven einbogen oder gar S-Kurven durchfuhren. Anfangs brachte ein Tröpfchen Teflon-Schmiermittel Linderung. Zwischenzeitlich erreichten mich über diesen Blog Zuschriften, die sich ebenfalls an den Knack-Geräuschen störten. Und mir riss der Geduldsfaden: Fällt sowas eigentlich niemanden vor Auslieferung auf?

Also betrieb ich Ursachen-Forschung und fand eine Banalität: Die Kulissen-Führung ist in der mittigen Spitze zu scharfkantig. Vermutlich im Formenbau wurde nicht exakt genug gearbeitet, und so verhakt sich der Kupplungsträger beim Wechsel von links nach rechts. Und verursacht das ‚Knacken‘.

Natürlich kann man kann sich mal wieder behelfen. Es ist schon sehr frustrierend, festzustellen, wieviele Piko-Modelle substanzieller Nacharbeit bedürfen – ohne, dass der Hersteller für neue Auflagen eingreift.

Genau hinsehen: An der Spitze sind Grate zu erkennen. Unpräzise halt.

Man demontiert die Waggons und entnimmt auch die Kupplungsträger. Mit einer sehr feinen (!) Feile streicht man nun ohne jeden Druck (!!) beidseitig um die Spitze der Kulissen-Führung.

Nun ist die Spitze glatt – so sollte es ab Werk sein.

Nochmal zum Merken: Sanft! Ohne Druck! Nur entlangstreichen! Dabei immer wieder mit dem Kupplungsträger ausprobieren, ob das Knacken verschwunden ist. Wenn ja: Sofortiges Stopp. Danach die Kupplungsträger wieder einsetzen.

Gutes Teflon-Zeug sorgt langfristig für geschmeidige Bewegungen.

Einen kleinen Tropfen Teflon-Schmiermittel auf die Mechanik geben und durch Bewegen der Mechanik verteilen. Waggon zusammenbauen – und endlich geschmeidigen Betrieb genießen.

Fazit: Natürlich hat Piko bemerkenswerte S-Bahn Wagen auf den Markt gebracht, mit vielen netten Ideen. Aber viele nervige Kleinigkeiten hätten VOR Auslieferung abgestellt werden sollen. Und es sind gerade die Kleinigkeiten, an denen man erkennt, wie seriös sich jemand um seine Produkte kümmert.

Eigensinnige Decoder-Schnittstelle, eiernde Achsen und die knackenden Kulissen sind drei unschöne Aspekte. Man sollte sich bewusst sein, dass Pikos x-Wagen optisch schön gemacht sind, dass sie aber eben auch einer gewissen Nacharbeit bedürfen.