Lima ICE 1 HL1750 – fragwürdig in fast jeder Hinsicht.

(C) Hornby, erstes offizielles Foto des ICE1. Und ich hatte gehofft, die Fahrgestelle würden noch richtig lackiert…

Manchen Text muss man mehrmals neu beginnen, weil das Thema einfach wenig erbaulich ist. Aber es nützt ja nichts… Hornbys ICE1 ist zumindest für mich eine herbe Enttäuschung – und einer der Gründe, warum sich meine Einstellung zum Hobby grundlegend geändert und vor allem entspannt hat.

Als Hornby unter dem Label ‚Lima‘ einen ICE1 ankündigte, war mir das seltsam egal. Obwohl ich mir seit den 90er Jahren genau dieses Modell in exakt 1:87 gewünscht hatte, damals allerdings noch von Roco. (Wie sich die Dinge ändern können…) Aber, wie so oft, konnte ich meiner Intuition trauen. Denn Hornbys ICE1 zeigt derart viele Schwächen, dass zumindest mich auch sein Kampfpreis nicht zum Kauf verführt: Für mich ist das Modell völlig indiskutabel, aber am Markt dürfte ein hochwertigerer H0-ICE1 nun unwahrscheinlich geworden sein. Das Feld ist einfach verbrannt, und die ach-so kritischen Foren-Schreiber übergehen die vielen Macken einfach. Soviel zum Thema ‚Foren‘.

Im Folgenden verwende ich Modellfotos, die Mag. Markus Inderst erstellt und mir die Verwendung ausdrücklich schriftlich erlaubt hat. Seine Website zum Thema: https://modellbahninfo.org/modelle-20220914-03/

Statt beige-ähnlichem „Quarzgrau“ verwendet Honby „Basaltgrau“ – falsch. (c) Mag. Markus Inderst

Schon als die ersten Fotos auftauchten, hoffte ich noch auf Fehler der Handmuster, aber leider lieferte man das Modell nach Bundesbahn-Vorbild dann tatsächlich mit falsch-farbenen Fahrgestellen und -Dächern aus:

Verwendet wurde basaltgrau statt quarzgrau. Ein geradezu blödsinniger Fehler, der von Hornby auf meine Nachfrage geradezu unverschämt verbrämt wurde:

Screenshot der Email von Hornbys ‚Customer Care‘. ‚Niveau‘ ist womöglich doch eine Handcreme…

Dazu mal direkt eine Klarstellung von mir:

  1. Die „einschlägige Fachliteratur“ als „teilweise falsch“ zu bezeichnen erinnert mich an die oft von rechtsradikalen Schreihälsen verwendete Vokabel „Lügenpresse“. Zumal Hornby schlicht im Unrecht ist.
  2. Dass die Bundesbahn für die Serien-ICE1 anstelle von quarzgrau das bläuliche basaltgrau verwendet habe, ist Unsinn. Das belegen nicht nur tausende zeitgenössische Fotos der Vorbilder (wobei offenbar genau diese Hornby nicht vorgelegen haben), auch 100% der zeitgenössischen Modelle dieser Züge tragen die von mit erwarteten Farben. Schwer vorstellbar, dass in den 90er Jahren der Blätterwald kein kritisches Wort darüber verloren hätte. Und: Basaltgrau tauchte überhaupt erst 1996 auf, an den drei neuen Lok-Typen 101 (ab -004), 145 und 152.
  3. Meine Anfrage an das Verkehrs-Museum Nürnberg brachte eine klare Aussage zutage. Und dort nachzufragen wäre auch Hornby möglich gewesen. Dazu allerdings hätte man sich selbst infrage stellen müssen, und das liegt Hornby wohl nicht so, wie aus der Email zu schließen.
  4. vier (???) erste ICE1“ – bedeutet diese Formulierung, dass hier ein Modellbahn-Hersteller keinen blassen Schimmer hat von den Fahrzeugen der 90er Jahre und außerstande ist, die ICE1 Züge von den drei ersten Lokomotiven der BR101 zu unterscheiden, deren Lackierung sich ursprünglich ja tatsächlich von den Loks ab der Nummer 004 unterschied…? Keine Ahnung haben, aber pampig reagieren, Respekt.
  5. Der letzte Satz ergibt dann sogar überhaupt keinen Sinn, weil die absurde These, die Hornby dort abstreitet, zuvor von mir gar nicht aufgestellt worden war.

Die Antwort des Verkehrsmuseums Nürnberg auf meine Anfrage lautete übrigens wie hier gezeigt:

Der falsche Farbton von Dächern und Fahrgestellen spricht allein schon gegen den Erwerb, jedenfalls für mich, weil die Fahrzeuge dadurch einen völlig anderen Eindruck machen. Und alles airbrushen zu lassen ist ja nun Quark. Aber auch der Formenbau ist alles andere als überzeugend; der Bug wurde zu eckig gestaltet, und die Formen selbst ziemlich unpräzise gefertigt.

Lackierung & Formenbau: Beides konnte Fleischmann schon 1992 besser. (c) Mag. Markus Inderst

Schließlich aber stellte sich heraus, dass Hornby für seine ‚Lima‘-Triebköpfe einfach die Fleischmann-H0 Modelle kopiert und die Waggons auf maßstäbliche Länge gezogen hat: Aufhängung und Konzeption der Drehgestelle sehen gleich aus, die Kupplungs-Aufnahmen mit den aufrecht stehenden Spezial-Stegen kennt man sogar ausschließlich von Fleischmanns ICE-Zügen.

Es wurde in Foren gelästert, dass man im Prinzip die Gehäuse austauschen könne, wenn sich nicht ausgerechnet die Schraub-Vorrichtungen unterschieden, weil Hornby anstelle des Drehgestell-Motors einen Mittelmotor einsetzt.

Im Vergleich zum Fleischmann-Modell zeigt sich Hornbys ICE1 in vielen Details leider eher grob und damit dem 30 Jahre älteren Fleischmann-Modell sogar unterlegen.

Hornbys Kupplungsträger gleicht denen von Fleischmann sehr auffallend. (c) Mag. Markus Inderst

Auch die Anbringung der Führerstände sowie die Arretierung der Gehäuse auf den Fahrgestellen kennt man so nur von Fleischmann.

In einem Forum finden sich viele Detail-Fotos von den Innereien des ICE1, gerne hier mal nachschauen: https://www.h0-modellbahnforum.de/t348882f54849-LimaExpert-ICE-die-Freude-war-Gross-der-Erste-Eindruck-ueberzeugend-doch-das-Getriebelager-war-schwach.html#msg3910618

Weitere Beschwerden folgten hier: https://www.h0-modellbahnforum.de/t349173f54854-Lima-HL-HL-ICE-Flecken-auf-Triebkopfdach.html

Ein weiterer – und womöglich politisch begründeter – Fehler findet sich im Anschriftenfeld von Hornbys ICE1 in Bezug auf die für den Zug erlaubten Staatsbahnen: Dort findet sich zwar kein ‚A‘, aber dafür allen Ernstes die Angabe „DR“, also „DDR“.

Ein damals nagelneuer ICE1 für marode „DDR“ Gleise – träumt mal weiter… (c) Mag. Markus Inderst

Befragt habe ich auch dazu das Nürnberger Verkehrsmuseum sowie einen namhaften Modellbahn-Hersteller; beide fanden für diese Angabe keinen einzigen Beleg. Keinen! Einzigen! Beide Seiten räumen die in höchstem Maße sehr theoretische Möglichkeit dieser Anschrift ein (es gibt nichts, was es nicht gibt) – aber ‚ohne Beweis kein Modell‘ – so sagte man früher.

Das eröffnet Möglichkeiten zu Spekulationen über die Beweggründe, die durchaus kreativ sein dürfen; das war Hornby selbst schließlich auch: Wollte man den Zug etwa vor allem in den ostdeutschen Bundesländern verkäuflich machen, indem man da was Subversives draufmogelt, obwohl das Vorbild so nie ausgesehen hat? Es wird schon keinem auffallen?

Dass ausgerechnet die Version der Bundesbahn so viele Fehler hat – und die Variante der Bahn AG nicht – entspricht dem Habitus in Teilen der Branche, sich ganz besonders den ostdeutschen Kunden anzubiedern – und die Bundesbahner aktiv zu meiden. Dass das rein zahlenmäßig Quatsch ist und wie in diesem Fall höchst unschöne Blüten treibt, sollte sich Jedem erschließen. Dazu auch dieser Lese-Tipp:

Eine weitere Fehl-Entscheidung ist die fehlende Möglichkeit für märklin-Fahrer, diesen ICE1 für ihr Mittelleiter-System zu adaptieren. Ich meine, das KANN doch nicht wahr sein! Ob es Hornby passt oder nicht: märklin H0 ist noch immer der Platzhirsch der Branche. Und anstelle unter den Drehgestellen der Triebköpfe Steck-Plätze für die systemtypischen (Flüster-)Schleifer vorzusehen, formte man hier gnubbelige Details an.

Ausgerechnet diese zahlungskräftige Klientel absichtlich vom Kauf dieses ICE abzuhalten ist Geschäfts-schädigend. Oder: Blöd.

„saubere Zierlinien“ – nö. Schief isses. Und die ausgefransten Lampen? Qualität ist anders. (c) Mag. Markus Inderst.

Kurz: Ein Modellbahn-Produkt in derart vielen konstruktiven Details nachzubauen zeugt von mangelnder Ethik. Das ist meine persönliche Meinung auf meinem persönlicher Blog.

Fazit: Was nützt einem die maßstäbliche Länge eines Modellbahn-Fahrzeugs, wenn sich dahinter so ein schlechtes Produkt verbirgt..? Modellbahnerei ist immer auch ein Stück weit Identifikation. Und mit so einem zusammengehühnerten Fahrzeug möchte ich nichts zu tun haben. 🤷🏻‍♂️

Da sind mir die gestauchten ICE-Modelle von Fleischmann oder märklin lieber. Die sind wenigstens ehrlich konzipiert, und ihre Farbgebung stimmt, der Vorbild-Eindruck entsteht. Zudem, nicht zu unterschätzen, man bekommt für diese Züge meistens Ersatzteile. Hornby? Ersatzteile? Lassen wir das.

Die Belastungsfähigkeit der ursprünglich von Ade und Roco propagierten Ideologie der ‚unbedingter Perfektion‘ unter anderem mit maßstäblichen Waggons hat schon vor langer Zeit Risse bekommen; Hornbys ICE1 trägt weiter dazu bei. Tjaja, Länge ist eben doch nicht alles. 😌

Nachtrag: Warum die Zeitschrift ‚Modelleisenbahner‘ trotz vorheriger konkreter Hinweise geradezu Lobgesänge auf den Zug anstimmt, das muss man nicht verstehen. Die dort im Text so bezeichneten „sauberen Zierlinien“ sind zumindest über dem Bug serienmäßig total schief aufgedruckt; dies verschweigt man einfach. Warum nochmal sollte man „Fachzeitschriften“ kaufen…?